Versunkene Städte – ob Wirklichkeit oder Mythos – ziehen Entdecker, Archäologen und Abenteurer magisch an. Ich begebe mich auf eine Expedition zu einigen der berühmtesten untergegangenen Metropolen: von der sagenhaften Ostsee-Stadt Vineta über Platons Atlantis bis hin zu real entdeckten Unterwasser-Ruinen wie Herakleion in Ägypten und Dwarka in Indien. Woher stammen ihre Legenden? Was weiß die Forschung heute? Und vor allem: Welchen Reiz üben diese verlorenen Welten auf Reisende aus? Begleiten Sie mich auf dieser Reise in die Vergangenheit, an Orte zwischen Wirklichkeit und Meeresträumen.
Vineta – Atlantis der Ostsee

Ich beginne meine Expedition an der vorpommerschen Ostseeküste, wo der Mythos Vineta bis heute lebendig ist. Der Sage nach war Vineta einst die prächtigste Handelsstadt des Nordens – reich, stolz und verdorben. Doch Hochmut kommt vor dem Fall: Eines Tages wurde Vineta von einem gewaltigen Sturmhochwasser heimgesucht und ging im Meer unter (Vineta – Wikipedia). Zur Warnung erschien eine Wasserfrau (eine Nixe) und rief der Stadt dreimal ein Mahnwort zu: „Vineta, Vineta, du reiche Stadt, du wirst untergehen, denn du hast Böses getan!“ (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de). Die Bewohner schlugen alle Warnungen in den Wind; in ihrem Übermut stopften sie sogar die Löcher in ihren Wänden mit Brot und behängten ihre Haustiere mit Schmuck (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de). So versank die prunkvolle Stadt mit all ihren Marmorsäulen und goldenen Dächern schließlich in den „strafenden Sturmfluten“ (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de) – eine nordische Sündflut als göttliche Strafe, ähnlich wie Atlantis. Und tatsächlich: Noch heute erzählt man sich, an stillen Tagen sei fernab über den Wellen das Klageläuten der Kirchturmglocken Vinetas zu hören (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de). Gänsehaut überläuft mich, als ich am Ufer stehe und mir diesen Klang einbilde.
Doch war Vineta mehr als ein Märchen? Schon seit dem 19. Jahrhundert versucht man, einen historischen Kern der Sage zu finden. Der Archäologe Rudolf Virchow – übrigens besser bekannt als Medizin-Pionier – begann Ende des 19. Jahrhunderts mit Ausgrabungen auf der pommerschen Insel Wolin (damals Wollin) (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de). Er stieß dort auf alte Hügelgräber und Artefakte. Spätere polnische Forschungen fanden in den 1950er Jahren Überreste eines Hafens am Fluss Dievenow (Dziwna), einem Mündungsarm der Oder, mit Funden bis ins 8. Jahrhundert (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de). War dieses frühmittelalterliche Handelszentrum – bekannt aus Chroniken als Jomsburg/Jumne – der wahre Kern von Vineta? Viele glaubten es. Noch heute rühmt sich die Insel Wolin ihres „Jomsburger“ Erbes im Museum der Stadt Wolin.
Allerdings erheben zahlreiche Orte an der Ostsee Anspruch auf Vineta (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de). In den 1990ern hielten zwei deutsche Autoren dagegen: Der Historiker Klaus Goldmann und der Publizist Günter Wermusch vermuteten Vineta nicht bei Wolin, sondern im flachen Küstengewässer des Barther Bodden (vor der heutigen Küste Vorpommerns) (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de). Ihren Recherchen zufolge könnte ein veränderter Oderlauf im Hochmittelalter einen Deichbruch verursacht haben, der eine ganze Siedlungslandschaft im Schlamm versinken ließ – eben jene „Vineta“, begraben im Brackwasser-Schlick (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de). Trotz solcher Hypothesen bleibt das Rätsel ungelöst, was den Mythos nur noch befeuert.
Fest steht: Vineta ist heute Touristenmagnet und Kulturgut – auch ohne genaue Lokalisierung. Das Städtchen Barth sicherte sich sogar den Markennamen „Vinetastadt“ und betreibt ein Vineta-Museum sowie alljährliche Vineta-Festtage (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de). Auf der Insel Usedom findet jeden Sommer ein großes Vineta-Freilicht-Spektakel statt, die Vineta-Festspiele in Zinnowitz, bei denen rund 20.000 Zuschauer die Sage als Bühnenstück erleben (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de). Am Ostersonntag gibt es dort ein zusätzliches Schauspiel am Strand – angelehnt an eine weitere Legende: Angeblich erschien Vineta jedes Jahr an Ostern für kurze Zeit als Geisterstadt aus dem Meer. Ein junger Schäfer sah sie einst im Morgennebel und hätte die Stadt erlösen können, wenn er den Bewohnern nur etwas abgekauft hätte. Doch der arme Junge hatte keinen Heller dabei – Vineta versank von Neuem und wartet seither vergeblich auf Rettung (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de). Während ich dem Osterspektakel zuschaue, klimpern ein paar Münzen in meiner Tasche. Man weiß ja nie: Vielleicht könnte ein unschuldiges Opfer mit Kleingeld die verfluchte Stadt eines Tages doch noch erlösen (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de). Bis dahin bleibt Vineta im wahrsten Sinne ein versunkenes Geheimnis, das weiter gesucht werden will (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de).
Für Reisende und Abenteurer ist Vineta heute vor allem Atmosphäre. Wer an einem ruhigen Abend am Ostseestrand von Usedom steht, spürt die Magie: Die rote Sonne versinkt glühend im Meer, die Wellen rauschen, und man kann sich lebhaft vorstellen, wie unter der Oberfläche irgendwo ein goldener Marktplatz auf seine Wiederentdeckung wartet (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de). In den Küstenorten von Wolin bis Usedom begegnet einem der Mythos auf Schritt und Tritt – ob als Skulptur (wie der Vineta-Glockenturm in Koserow, Abb. 1) oder in Liedern und Sagen, die Fischer ihren Kindern erzählen. Vineta mag nie geortet worden sein, doch in der Fantasie ist sie lebendiger denn je (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de). Die Sage vom „Atlantis des Nordens“ (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de) begleitet uns – Zeit, nun das eigentliche Atlantis ins Visier zu nehmen.
Atlantis – Untergang einer Insel-Utopie
Wenige Legenden wecken so sehr das Fernweh wie die von Atlantis. Meine Reise führt mich vom nordischen Meer nun ins Mittelmeer, an einen Ort, der als mögliche Inspiration für Atlantis gilt: Santorini. Ich sitze abends hoch oben am Kraterrand dieser griechischen Vulkaninsel. Vor mir breitet sich die weite, blaue Caldera aus – eine halb versunkene Insel, Überrest eines prähistorischen Vulkanausbruchs. Die Sonne versinkt eben feuerrot hinter dem Kraterrand, unten zieht lautlos ein Segelschiff seine Bahn (siehe Abb. 2). Santorini bietet ein spektakuläres Panorama, das erahnen lässt, warum manche hier Platons Atlantis verorten. Doch was berichtete Platon wirklich?
(File:View of Caldera at Sunset from Imerovigli, Santorini.jpg – Travel guide at Wikivoyage) Abb. 2: Sonnenuntergang über der Caldera von Santorin. Vor ~3600 Jahren brach hier ein Vulkan aus und versenkte einen Großteil der Insel – ein reales Ereignis, das Parallelen zur Atlantis-Erzählung aufweist (Atlantis Legend | National Geographic). Manche vermuten daher Santorin (Thera) als Vorbild für Atlantis.
Etwa 360 v. Chr. schrieb der griechische Philosoph Platon von einem idealen Inselreich namens Atlantis (Atlantis Legend | National Geographic). Dessen Bewohner, so erzählt er, seien halbgöttlich gewesen – anfangs weise Herrscher einer hochentwickelten, utopischen Zivilisation (Atlantis Legend | National Geographic). Ihre Hauptstadt lag auf ringförmigen Inseln, konzentrisch von Kanälen umgeben, glitzernd vor Reichtum: Gold, Silber und exotische Tiere bevölkerten das Eiland im Überfluss (Atlantis Legend | National Geographic). Doch mit der Zeit verfielen die Atlanter moralisch. Aus dem anfänglichen Paradies wurde ein Reich der Gier und Eroberungssucht (Atlantis Legend | National Geographic). Dies erzürnte die Götter: Zur Strafe ließen sie Atlantis in einer einzigen furchtbaren Nacht und einem Tag durch Erdbeben und Flutwellen im Meer versinken (Atlantis Legend | National Geographic). Platons Erzählung endet als eindringliche Mahnung, dass selbst die mächtigsten Städte dem Hochmut zum Opfer fallen können – ein Motiv, das uns von Vineta nur allzu bekannt vorkommt.
Die Faszination dieser Geschichte ist ungebrochen, obwohl es keinen historischen Beweis für Atlantis gibt. Platon ist unsere einzige antike Quelle (Atlantis Legend | National Geographic). Kein Wunder also, dass sich seit Jahrhunderten unzählige Theorien um den möglichen Standort ranken – „jede Stelle auf der Weltkarte wurde schon einmal als Atlantis gehandelt“, scherzte ein Historiker (Atlantis Legend | National Geographic). War Atlantis eine Insel im Atlantik jenseits der Säulen des Herakles (Gibraltar)? Lag es etwa vor der spanischen Küste, in der Ägäis oder gar in der Antarktis? Jede Theorie hat ihre Verfechter. Wissenschaftler sind jedoch skeptisch: Kaum einer glaubt, dass Atlantis im wörtlichen Sinne existierte (Atlantis Legend | National Geographic). Der bekannte Meeresforscher Robert Ballard betont, dass kein Nobelpreisträger Platons Bericht für wörtlich nimmt (Atlantis Legend | National Geographic). Vielmehr vermuten Forscher, Platon habe Atlantis als philosophische Parabel erfunden (Atlantis Legend | National Geographic) – ein Gedankenexperiment über ideale und korrumpierte Gesellschaften.
Und doch enthält der Mythos vermutlich Körner von Wahrheit. Platon könnte reale Katastrophen seiner Zeit als Inspiration gedient haben. Ballard nennt das Beispiel eines Vulkanausbruchs vor 3600 Jahren auf Santorini (damals Thera genannt) (Atlantis Legend | National Geographic). Die Explosion um 1600 v. Chr. war so gewaltig, dass sie die Blüte der minoischen Kultur jäh beendete – eine hochentwickelte Gesellschaft verschwand nahezu über Nacht (Atlantis Legend | National Geographic). Klingt vertraut? In der Tat, Archäologen haben in Santorinis verschütteter Stadt Akrotiri mehrstöckige Häuser und bunte Fresken freigelegt, konserviert unter Vulkanasche wie ein zweites Pompeji. Kein schriftlicher Bericht davon hat die Antike überdauert – aber vielleicht lebte die Erinnerung daran im Nachhall als Sage weiter. Ballard und andere betonen zwar, dass Thera zeitlich nicht exakt zu Platons Angaben passt und daher wohl nicht die Atlantis-Insel war (Atlantis Legend | National Geographic). Doch zeigen solche Beispiele, dass große Flutkatastrophen real sind und ins kollektive Gedächtnis eingehen (Atlantis Legend | National Geographic). Atlantis ist somit ein plausibler Mythos – auch wenn er am Ende wohl doch ein Mythos bleibt.
Für uns Reisende spielt das kaum eine Rolle, denn der Reiz von Atlantis liegt gerade in seinem Unbestimmten. Während ich auf Santorini die goldenen Lichter der Dörfer am Kraterrand betrachten, kann ich wunderbar von Atlantis träumen. Die Insel wirkt in diesem Moment selbst halb fiktiv: Unten gluckert das Meer im gefluteten Vulkankessel, als würde dort unten eine versunkene Stadt schlummern. Am nächsten Tag wandere ich durch die Ausgrabung von Akrotiri und stelle mir vor, wie die Bewohner in Panik flohen, als die Erde bebte – ähnlich wie Platon es beschrieb. Auch an vielen anderen Orten der Welt kann man auf Atlantis-Spurensuche gehen: auf den Azoren, den Bahamas, in Andalusien, vor Bimini – überall dort, wo Enthusiasten Hinweise auf ein versunkenes Reich sehen. Bisher blieben all diese Suchen erfolglos. Doch gerade das Unauffindbare macht Atlantis attraktiv. Es verkörpert die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies, nach dem großen Geheimnis, das vielleicht irgendwo auf dem Meeresgrund wartet. Und solange wir reisen, werden wir wohl immer wieder den Geschichten von Atlantis lauschen – und sei es nur, um am Lagerfeuer am Strand unter funkelnden Sternen ein gutes Abenteuer zu erzählen.
Herakleion (Thonis) – Ägyptens verlorenes Hafenportal
Von der Ägäis führt meine Expedition weiter nach Ägypten, an die Küste des Nildeltas. Hier tauchen wir wortwörtlich ein in eine versunkene Stadt, die einst real und lebendig war und deren Überreste heute wiederentdeckt wurden: Thonis-Herakleion. So nannten die alten Ägypter (Thonis) und Griechen (Herakleion) eine bedeutende Hafenmetropole, die vor über 1000 Jahren unterging. Gemeinsam mit einem Team von Taucharchäologen lasse ich mich in die grünen Fluten der Abukir-Bucht nahe Alexandria gleiten. Schon nach wenigen Metern umgibt uns dämmeriges Unterwasserlicht. Plötzlich zeichnet sich vor meinen Scheinwerfern ein gewaltiges Gesicht ab – das steinerne Antlitz einer pharaonenhaften Statue, die seit Jahrhunderten im Meerschlick ruht. Gänsehaut breitet sich aus: Wir schweben mitten durch die Trümmer einer antiken Stadt, als Unterwasser-Zeitreisende.
Tatsächlich zählt die Entdeckung von Herakleion zu den größten archäologischen Sensationen der letzten Jahrzehnte. Noch bis ins frühe Mittelalter gediehen hier Siedlungen – dann brach das Unheil herein: Im 8. Jahrhundert n. Chr. versank die Stadt infolge katastrophaler Beben und Flutwellen in den Wogen (Ancient Egyptian underwater treasures to be exhibited for the first time | Egyptology | The Guardian). Über die Jahrhunderte geriet sie nahezu in Vergessenheit, ihr Andenken lebte nur in ein paar Erwähnungen antiker Autoren fort. Erst ab 1996 begann ein Team um den französischen Unterwasserarchäologen Franck Goddio mit systematischen Sondierungen in der Bucht (Franck Goddio: Projects: Sunken civilizations: Thonis-Heracleion ) (Franck Goddio: Projects: Sunken civilizations: Thonis-Heracleion ). Im Jahr 2000 war es soweit: Goddio stieß auf die ersten Überreste von Thonis-Herakleion – ein Fund von weltgeschichtlicher Bedeutung (Ancient Egyptian underwater treasures to be exhibited for the first time | Egyptology | The Guardian). Was seine Taucher in rund 10 Metern Tiefe entdeckten, ließ die Fachwelt staunen: kolossale Statuen, Juwelen, Goldmünzen und zerborstene Tempelruinen, konserviert im Meeresboden wie eingefrorene Zeitzeugen einer versunkenen Zivilisation (Ancient Egyptian underwater treasures to be exhibited for the first time | Egyptology | The Guardian). Ein „opulentes Gesellschaftsbild, eingefroren in der Zeit“ nennt Goddio die Funde (Ancient Egyptian underwater treasures to be exhibited for the first time | Egyptology | The Guardian). Seither förderten er und sein Team zahllose Schätze zutage – und dennoch sind laut Experten bisher erst 1–2 % des Stadtgebietes ausgegraben! (Ancient Egyptian underwater treasures to be exhibited for the first time | Egyptology | The Guardian) Die Dimensionen der Stätte sind enorm: Der unter Wasser liegende Siedlungsbereich erstreckt sich über etwa 110 km² – ein Areal so groß wie eine ganze Großstadt, mit möglicherweise zwei oder drei getrennten versunkenen Städten darin (Ancient Egyptian underwater treasures to be exhibited for the first time | Egyptology | The Guardian). Man hat also gerade erst an der Oberfläche (oder besser: am Meeresgrund) gekratzt.
Doch schon das bislang Entdeckte erlaubt es, sich ein lebendiges Bild von Herakleion in seiner Blütezeit zu machen. Die Stadt wurde um 800 v. Chr. gegründet und diente über ein Jahrtausend als Haupteinfallstor für griechische und phönizische Handelswaren nach Ägypten (Ancient Egyptian underwater treasures to be exhibited for the first time | Egyptology | The Guardian). Ein Netzwerk aus Kanälen durchzog die Stadt, die auf mehreren Inseln im Nil-Delta errichtet war – ähnlich wie ein großes Venedig im antiken Stil (Franck Goddio: Projects: Sunken civilizations: Thonis-Heracleion ). Im Zentrum erhob sich der große Amun-Tempel, umgeben von weiteren Heiligtümern (Franck Goddio: Projects: Sunken civilizations: Thonis-Heracleion ). Der Hafen von Thonis-Herakleion kontrollierte einst den gesamten Wareneingang ins Pharaonenreich. Die Funde sprechen Bände: Über 700 antike Schiffsanker aus Stein und Metall wurden auf dem Areal entdeckt, dazu über 60 Schiffswracks aus dem 6. bis 2. Jahrhundert v. Chr. (Ancient Egyptian underwater treasures to be exhibited for the first time | Egyptology | The Guardian) – eindrucksvolle Zeugnisse des regen Seehandels. Herodot, der griechische Geschichtsschreiber, erwähnt die Stadt und berichtet sogar, dass der trojanische Prinz Paris und die schöne Helena auf der Flucht hier Zuflucht gesucht hätten, noch bevor der Trojanische Krieg ausbrach (Ancient Egyptian underwater treasures to be exhibited for the first time | Egyptology | The Guardian). Ob das stimmt, sei dahingestellt, aber es zeigt: Schon für die Alten war Herakleion ein Ort voller Geschichten.
Heute, nach ihrer Wiederentdeckung, erlebt die Stadt eine zweite Karriere – diesmal als Attraktion für Wissenschaft und Öffentlichkeit. Viele der geborgenen Objekte wurden in großen Ausstellungen gezeigt („Ägyptens versunkene Schätze“ tourte um die Welt und begeisterte Millionen (Thonis-Heracleion Statues in Grand Egyptian Museum – Hilti Corporation)). Besonders spektakulär: Zwei fünf Meter hohe Statuen eines Ptolemäischen Königs und seiner Gemahlin, aus rosafarbenem Granit gehauen, wurden vom Meeresgrund geborgen und sind nun im neuen Grand Egyptian Museum in Giza bei Kairo aufgestellt (Thonis-Heracleion Statues in Grand Egyptian Museum – Hilti Corporation). Als ich diesen Kolossen in der Museumshalle gegenüberstehe, kann ich kaum fassen, dass sie jahrhundertelang im Meer versunken lagen. Ihre Gesichtszüge sind sanft vom Salzwasser erodiert, doch ihr Anblick strahlt noch immer königliche Würde aus. Für Reisende gibt es gleich mehrere Möglichkeiten, in die Welt von Herakleion einzutauchen: Im Maritime Museum von Alexandria sind ebenfalls Funde ausgestellt, darunter die riesige Stele (Steinsäule) mit dem Dekret von Kanopus von 238 v. Chr., die Goddio unter Wasser entdeckte (Ancient Egyptian underwater treasures to be exhibited for the first time | Egyptology | The Guardian). Und wer selbst Abenteurer spielen möchte, kann mit etwas Glück an Taucher-Exkursionen in Abukir teilnehmen (gelegentlich bieten Spezialreiseveranstalter solche Touren an, allerdings vorwiegend für Wissenschaftsinteressierte). Schon das Schnorcheln an der Bucht von Abukir ist ein besonderer Moment: Man schwimmt über den Ruinen einer Stadt, die einst vor Leben pulsierte und heute ein träumendes Unterwasserreich bildet. Herakleion zeigt uns, wie dünn der Schleier zwischen Legende und Realität sein kann – was einst als beinahe sagenhaft galt, liegt nun klar und greifbar vor uns auf dem Meeresgrund.
Dwarka – Krishnas Stadt unter den Wellen
Von Ägypten führt mich meine Reise weiter gen Osten, nach Indien, an die Küste von Gujarat. Hier treffen Mythos und Glaube unmittelbar aufeinander: Die alte Stadt Dwarka (auch Dvārakā geschrieben) gilt Hindus als heiliger Ort – denn laut Überlieferung war sie einst die Hauptstadt von Krishna, einer der wichtigsten Gottheiten. Als Krishna diese Welt verließ, so heißt es, ging das Zeitalter des Dharma zu Ende und das dunklere Kali Yuga begann – im selben Moment versank auch die prächtige Stadt Dwarka mit all ihren Palästen im Ozean (Dwarka | Silk Roads Programme). War es göttliche Fügung oder einfach ein gewaltiger Tsunami? Die Texte lassen Spielraum: Manche modernen Deutungen vermuten hinter der Sage eine Flutwelle, ähnlich jener, die 2004 den Indischen Ozean heimsuchte (Dwarka | Silk Roads Programme). Was auch immer geschah – die Legende vom Untergang Dwarkas ist seit Jahrtausenden Teil der indischen Kultur.
Heutiges Dwarka ist jedoch alles andere als versunken. Im Gegenteil: Die Stadt liegt an der Westküste Indiens und ist einer der sieben wichtigsten Pilgerorte des Hinduismus (Dwarka | Silk Roads Programme). Jedes Jahr strömen unzählige Gläubige hierher, um im Tempel Dwarkadhish Krishna zu verehren. Ich tauche in das farbenfrohe, quirlige Treiben ein: Pilger in bunten Saris drängen sich durch die Tempeltore, es duftet nach Räucherstäbchen und Blumen, und von überall erklingen Mantras und Glocken. Auf den ersten Blick ist es schwer vorstellbar, dass unter diesem geschäftigen Ort ein ganzes versunkenes Königreich liegen soll. Doch der Schein trügt: Vor der Küste Dwarkas, unter den Wellen des Arabischen Meeres, ruhen tatsächlich uralte Mauerreste.
Bereits in den 1930er Jahren begannen britisch-indische Forscher nach Krishnas versunkener Stadt zu suchen (Dwarka | Silk Roads Programme). Richtig Fahrt nahm die Unterwasser-Archäologie in Dwarka aber erst ab den 1980ern auf: Mehrfach machten Meeresarchäologen dort erstaunliche Entdeckungen (Dwarka | Silk Roads Programme). Sie fanden massive Steinblöcke und Fundamente, die vermutlich zu einer alten Stadtmauer gehörten (Dwarka | Silk Roads Programme). Auch Säulenfragmente, Treppen und Bewässerungssysteme kamen zum Vorschein (Dwarka | Silk Roads Programme). Besonders beeindruckend war die Bergung zahlreicher Steinanker vom Meeresgrund (Dwarka | Silk Roads Programme). Über 30 Anker – manche groß wie ein Mensch – lagen vor Dwarkas Küste in gleicher Tiefe, was darauf hindeutet, dass hier einst ein bedeutender Hafen war (Dwarka | Silk Roads Programme). All dies passt zu Dwarka als Handelsstadt, die vielleicht zwischen indischen und arabischen Reichen vermittelte (Dwarka | Silk Roads Programme). Doch wie alt sind diese Relikte? Genau hier entzündet sich eine Debatte: Einige Experten datieren die versunkenen Strukturen auf ca. 1500–3000 v. Chr., was tatsächlich in Krishnas mythische Zeit passen würde (Dwarka | Silk Roads Programme). Andere vermuten jedoch, die Ruinen seien viel jünger und erst im Mittelalter (vielleicht um 800 n. Chr.) untergegangen (Dwarka | Silk Roads Programme). Die Wahrheit liegt noch im Dunkeln – weitere Ausgrabungen sollen Klarheit bringen.
Für Besucher ist Dwarka vor allem ein spirituelles Erlebnis. Jeden Abend stehe ich am Ufer, wo der Fluss Gomti ins Meer mündet, und beobachte das Ritual der Aarti: Priester schwenken große Feuerschalen, und Hunderte Lampen spiegeln sich im Wasser, während die Sonne am Horizont glutrot untergeht. Es heißt, genau hier an der Gomti-Mündung habe einst Krishnas goldene Stadt gestanden. Das Meer glitzert friedlich, doch ich stelle mir vor, was unter seiner Oberfläche verborgen liegt. Tatsächlich kann man heute vor Dwarka auch selbst auf Tauchgang gehen: Spezialisierte Tauchschulen und das Indische Archäologische Institut haben in der Nähe von Bet Dwarka (einer vorgelagerten Insel) Tauchspots markiert, wo man – je nach Sichtbedingungen – in 5–10 Metern Tiefe auf Steinsetzungen stößt, die wohl Teil der alten Stadt waren. Es ist ein surreales Gefühl, mit eigenen Augen durch die trübe See uralte Steinquader zu erkennen, vielleicht Fundamentreste eines Palastes oder Tempels. Ein Archäologe erzählte mir mit leuchtenden Augen, man habe sogar Keramikscherben und Idole gefunden, die unter Wasser in einem kleinen Museum vor Ort zu sehen sind. So wird die Mythologie greifbar: Hier taucht man wortwörtlich in Krishnas Erbe ein.
Dwarka vereint damit Mythos, Religion und Archäologie in einzigartiger Weise. Am Tag pilgert man durch eine lebendige Tempelstadt, nachts hört man vielleicht vom Hotel aus das Meeresrauschen und denkt daran, dass irgendwo da draußen die Reste eines alten Dwarka schlummern. Dieser Ort lässt niemanden kalt: Selbst nüchterne Wissenschaftler geben zu, dass sie beim Anblick der untergegangenen Mauern ein Schauer überkommt – zu sehr ähnelt die Sage der Realität. Während ich am letzten Abend am Strand von Dwarka stehe, sehe ich Fischerboote im Dunkeln schaukeln. Über mir funkeln die Sterne. Ich denke an Vineta, Atlantis, Herakleion und Dwarka – so verschiedene Welten, und doch teilen sie dieses Schicksal des Untergangs.
Epilog: Verlorene Städte – unendliche Faszination
Meine Expedition neigt sich dem Ende zu, doch die Faszination bleibt. Was haben all diese Geschichten gemeinsam? Sie handeln vom Vergehen glanzvoller Städte – sei es durch Götterzorn, Naturkatastrophen oder menschengemachtes Unglück – und davon, dass dennoch nicht alles wirklich verschwindet. Etwas bleibt immer: eine Sage, ein Lied, Ruinen unter Wasser, die uns zuflüstern. Diese Orte wecken in uns ein tiefes Fernweh nach dem Unbekannten, nach dem Geheimnisvollen. Für Reisende bieten sie die perfekte Mischung aus Abenteuer und Nachdenklichkeit. Man kann an ihren heutigen Schauplätzen staunen und träumen zugleich.
Und manchmal werden Legenden wahr: Was lange für Mythos gehalten wurde, entpuppt sich plötzlich als historische Tatsache. Ein Beispiel dafür ist Helike in Griechenland. Die antiken Autoren berichteten von dieser Stadt, die 373 v. Chr. durch ein Erdbeben und einen gewaltigen Tsunami im Meer versank – angeblich aus Zorn des Poseidon (Helike – Wikipedia). Jahrhunderte galt Helike als versponnene Atlantis-Geschichte, doch dann entdeckten Archäologen im Jahr 2001 tatsächlich die Überreste von Helike, tief vergraben in einer ehemaligen Lagune (Helike – Wikipedia) (Helike – Wikipedia). Die Legende hatte einen wahren Kern! Solche Funde nähren die Hoffnung, dass auch die anderen Rätsel vielleicht eines Tages gelöst werden. Doch gleichzeitig würde mit einer endgültigen Entdeckung auch ein Teil des Zaubers schwinden – dem Zauber des Unergründlichen, der uns anzieht.
Am Ende meiner Reise halte ich inne und denke über die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart nach. In Barth an der Ostsee bewahrt man Vineta in Spiel und Museum lebendig (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de). Auf Santorini feiern Tourist*innen den Sonnenuntergang und gedenken (wissend oder unwissend) dem Untergang der Minoer. In Ägypten erhebt sich Herakleion wieder in Museen und taucht in Schulbüchern auf. In Indien beten Pilger in Dwarka, während Archäologen vor der Küste weiter nach Krishnas goldenem Reich tauchen (Dwarka | Silk Roads Programme). Jeder dieser Orte bietet uns Reisenden die Chance, Geschichte hautnah zu erleben – nicht nur die Geschichte, die in Stein und Artefakten überlebt hat, sondern auch die erzählerische, fast märchenhafte Geschichte, die in Liedern, Sagen und lokalen Bräuchen weiterlebt.
Vielleicht ist das die wichtigste Erkenntnis: Versunkene Städte lehren uns Demut vor der Natur und der Zeit. Gleichzeitig entfachen sie den Entdeckergeist in uns. Wer einmal nachts am Meer stand und sich vorgestellt hat, was wohl da unten auf dem Grund liegen mag, der versteht diese Sehnsucht. Ich jedenfalls spüre sie schon wieder – die Neugier, die mich ruft. Noch hallt das Echo der Vineta-Glocken in meinen Ohren, vermischt sich mit dem Flüstern des Windes, der von Atlantis erzählt. Während die Wellen an den Strand rollen, denke ich: Solange es Träumer gibt, werden die versunkenen Städte niemals wirklich untergehen. Irgendwo da draußen wartet vielleicht die nächste Vineta oder Atlantis darauf, von einem mutigen Abenteurer entdeckt zu werden – oder zumindest in unserer Vorstellung weiterzuleben.
Quellen: Legenden und Fakten zu Vineta (Vineta – Wikipedia) (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de) (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de) (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de) (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de) (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de) (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de) (Dem Geheimnis auf der Spur – Die versunkene Stadt – Stil – SZ.de); Platonische Überlieferung zu Atlantis (Atlantis Legend | National Geographic) (Atlantis Legend | National Geographic) (Atlantis Legend | National Geographic) (Atlantis Legend | National Geographic); Archäologie von Herakleion (Ancient Egyptian underwater treasures to be exhibited for the first time | Egyptology | The Guardian) (Ancient Egyptian underwater treasures to be exhibited for the first time | Egyptology | The Guardian) (Ancient Egyptian underwater treasures to be exhibited for the first time | Egyptology | The Guardian) (Ancient Egyptian underwater treasures to be exhibited for the first time | Egyptology | The Guardian) (Ancient Egyptian underwater treasures to be exhibited for the first time | Egyptology | The Guardian) (Thonis-Heracleion Statues in Grand Egyptian Museum – Hilti Corporation); Forschung in Dwarka (Dwarka | Silk Roads Programme) (Dwarka | Silk Roads Programme) (Dwarka | Silk Roads Programme); Entdeckung von Helike (Helike – Wikipedia) (Helike – Wikipedia).